Newsletter 11/2020 aus Berlin

19.06.2020

Deutschland übernimmt im Juli die EU-Ratspräsidentschaft

Bundeskanzlerin Angela Merkel hielt in dieser Woche vor dem Plenum des Deutschen Bundestages eine Regierungserklärung zur Europapolitik. Sie erläuterte, welche Ziele sich die Bundesregierung für die im Juli beginnende deutsche Ratspräsidentschaft in der EU setzt. Die Corona-Pandemie habe unerwartet und unverschuldet viele europäische Staaten vor große wirtschaftliche Schwierigkeiten gestellt. Wie in der Finanzkrise oder der Flüchtlingskrise gelte auch hier, dass kein Land „die Krise isoliert und allein bestehen (kann)“, so Merkel. Sie habe gemeinsam mit dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron einen Vorschlag für ein 500-Milliarden-Euro-Programm zum wirtschaftlichen Wiederaufbau Europas entwickelt. Das Programm soll den neuen EU-Finanzrahmen für die Jahre 2021 bis 2027 verstärken und Investitionen in den am stärksten betroffenen Regionen Europas fördern. Die Europäische Kommission werde einmalig ermächtigt, Anleihen für die EU am Markt aufzunehmen und für krisenbezogene Zuschüsse zu verwenden. Dafür sei Einstimmigkeit im Europäischen Rat und auch die Zustimmung der nationalen Parlamente – und damit auch des Bundestages – erforderlich.

Weiterhin werde die deutsche Ratspräsidentschaft den Übergang zu einer klimaneutralen Wirtschaft fördern und die Ziele für die nächsten zehn Jahre anpassen. Die Pandemie habe gezeigt, dass der Ausbau der Digitalisierung vorangetrieben werden müsse. Der EU müsse es dabei um eine vertrauenswürdige Dateninfrastruktur gehen. Ein außenpolitischer Schwerpunkt werde Afrika sein.

 

Meine Meinung

Der europäische Einigungsprozess hat in den letzten Jahren viel Gegenwind bekommen. Gerade die Corona-Pandemie hat uns aber eindrucksvoll die Vorteile des vereinten Europas bewusst gemacht. Wir haben in den letzten Wochen erfahren, dass es für eine kurze Zeit nicht so selbstverständlich war, ungehindert nach Österreich, Polen, Frankreich oder Dänemark zu fahren. Vor 100 Jahren – am 15. Juni 1920 – wurde der Grenzverlauf zwischen Deutschland und Dänemark per Volksabstimmung neu bestimmt. Die Corona-bedingten Barrieren an der deutsch-dänischen Grenze haben wir als Hindernis wahrgenommen. Wir haben eindrucksvoll gespürt, dass wir offene Grenzen gewohnt sind und haben wollen.

Das deutsche Bruttoinlandsprodukt wird in diesem Jahr laut dem Institut für Wirtschaftsforschung um etwa 7 Prozent zurückgehen. Auch der Export wird rückläufig sein, einige Experten sprechen von bis zu 30 Prozent. Ursache dafür ist der eingeschränkte oder zum Stillstand gebrachte Warenverkehr in der EU.

Wir haben durch die Pandemie kurzzeitig die Erfahrung gemacht, wie es ohne offene Grenzen und ohne Binnenmarkt wäre. Angela Merkel hat einmal mehr Recht, dass kein Land in Europa seine Probleme allein lösen könne. Es liegt in unserem eigenen Interesse, wenn wir mit einem Wiederaufbaufonds europäische Solidarität zeigen. Zudem haben wir unsere Position durchgesetzt: keine Eurobonds, auch nicht als Coronabonds. Diese Bonds hätten zu gemeinsamen Anleihen geführt, bei denen Zinssätze für deutsche Kredite gestiegen und für wirtschaftlich schwächere Länder gesunken wären. Einen Anreiz zum besseren Wirtschaften hätte es nicht gegeben. Den von der Kanzlerin vorgeschlagenen Ansatz begrüße ich. Die EU-Kommission darf einmalig in einer Krisensituation 500 Milliarden Euro Anleihen am Markt aufnehmen, für die Konditionen müssen die nationalen Parlamente zustimmen, das Geld wird für Investitionen und Reformen verwendet und es entsteht kein Dauermechanismus. Aus meiner Sicht eine gute Antwort auf die aktuelle Lage!