Info aus Berlin

29.09.2023

Rede von Armin Schuster Staatsminister des Innern in Sachsen vom 28. September 2023 zu Zusatzpunkt 4: Aktuelle Stunde

Statt meines Newsletter möchte ich heute aufgrund der Aktualität und der Relevanz für unser Land und die Europäische Union die Rede von Armin Schuster Staatsminister des Innern in Sachsen mit Ihnen teilen. Abseits von Parteipolitik schildert er treffend, was Länder und Kommunen jeden Tag leisten müssen und nicht mehr leisten können.
Gesprochen hat Staatsminister Armin Schuster am 28. September 2023, zu Zusatzpunkt 4: Aktuelle Stunde auf Verlangen der CDU/CSU-Fraktion „Schweigen des Bundeskanzlers zum Deutschlandpakt zum Stopp der irregulären Migration“.

Aufgrund der aktuellen Lage möchte ich in dieser Woche anstatt meines Newsletters die Rede von Armin Schuster Staatsminister des Innern in Sachsen mit Ihnen teilen. Meiner Meinung nach bringt Herr Schuster die Problematik und die Beschreibung eines Lösungsansatzes auf den Punkt.

„Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren, Abgeordnete! Meine sehr geehrten Damen und Herren!
Herr Kuhle, mein letzter Satz – von Trude Herr – hier war: „Niemals geht man so ganz.“ Ich habe aber nicht geahnt, dass ich die Freude haben werde, hier noch einmal stehen zu dürfen. Ich genieße es.
Jetzt werden Sie die unpolitischste Rede des Nachmittags hören. Ich schlüpfe in meine Rolle als Landesinnenminister, meine Damen und Herren, und erstatte Ihnen einen Lagebericht aus dem Freistaat Sachsen, einem Grenzbundesland, das nicht über EASY Flüchtlinge zugeteilt bekommt – gut dosiert, gut administriert –, sondern jeden Tag und jede Nacht – volatil – Flüchtlinge aufzunehmen hat. Und das bringt uns natürlich ganz schön ins Rudern.

In Kurzform: Das Bundesinnenministerium hat vor zwei, drei Monaten aufgehört, Prognosen zu erstellen; wir in Sachsen müssen das tun, weil ich Ressourcen vorhalten muss. Wir rechnen mit 350 000 nichtukrainischen Flüchtlingen in diesem Jahr und müssen unsere Kapazitäten darauf ausrichten. Aus der Ukraine haben wir 60 000 Menschen aufgenommen – in einem Bundesland mit nur 4 Millionen Einwohnern. Ich möchte daran erinnern: Wir sind sehr schön und fein, aber klein. Insgesamt haben wir 2022 18 500 Flüchtlinge aufgenommen, bis August 2023 15 000. Die Zahl der illegalen Einreisen über Polen und Tschechien belief sich im August 2021 auf 400, 2022 auf 2 500 und 2023 auf 4 900, also eine Verzehnfachung zu 2021, eine Verdoppelung zu 2022. In den letzten Wochen des Septembers sind im Schnitt 1 000 Menschen pro Woche über die Grenze gekommen und wurden in unseren Aufnahmeeinrichtungen untergebracht.

Die Situation eines Grenzbundeslandes ist, dass die Menschen erst mal alle bei uns sind – das ist wie in Bayern, Brandenburg und Baden-Württemberg –, und dann beginnt nach vier, fünf, sechs Wochen die Verteilung. So lange sind wir Kurzzeitgastgeber und müssen ein Bett und ein festes Dach über dem Kopf zur Verfügung stellen. Eine Erstaufnahmeeinrichtung in Sachsen, die das Land betreibt, bietet in Normallagen 3 500 Plätze. Ich habe vor einem Vierteljahr auf 7 500, vor etwa zwei Monaten auf 9 000 und letzte Woche auf 10 000 erhöht. In einem Bundesland mit 4 Millionen Einwohnern halten wir 10 000 Plätze für die Landeserstaufnahme vor.

Warum? Ich muss an die Kommunen mittlerweile gepuffert, gedrosselt und verzögert abverteilen. Wir senken die Abverteilquoten von 400 auf 250, weil die Kommunen nicht mehr können. Menschen verbleiben zunächst bei uns in der Landeserstaufnahme – und ich hoffe, dass ich nicht die gesetzlichen Fristen von drei bis sechs Monaten reiße –, damit die Kommunen irgendwie Luft holen können. Wir haben bis jetzt keine Turnhalle belegt und fangen erst jetzt an, Menschen in Zelten unterzubringen. Es gibt bislang nur ein einziges in Leipzig. Darauf sind wir sehr stolz, aber es ist harte Arbeit.
Die Versammlungslage, meine Damen und Herren, weist eine steigende Tendenz auf. 58 Versammlungen mit 7 500 Teilnehmern gab es letzten Montag. Das ist immer so montags, und zwischen Dienstag und Sonntag auch. Ich nenne Ihnen ein Beispiel aus Berggießhübel, einem wunderschönen Kurort in der Sächsischen Schweiz, den ich Ihnen für den Urlaub empfehle. Dort war nur über eine weitere Flüchtlingsaufnahme spekuliert worden. Für die betreffende Versammlung waren 300 Personen angemeldet; erschienen sind am Montagabend 3 000. Der Ort hat 5 500 Einwohner. So sieht die Stimmungslage der Bevölkerung in der Grenzregion aus.

Warum? Die Menschen, die da leben, sehen jeden Tag Schleuserfahrzeuge und orientierungslos herumlaufende Gruppen. Die Schleuser versuchen, die Menschen so schnell wie möglich loszuwerden, halten an der erstbesten Stelle an, und dann irren diese Menschen orientierungslos durch die Gemeinden. Fast die meisten Aufgriffe machen wir durch Bürgerhinweise. Das ist das Bild von Kontrollverlust. Die Bürger empfinden es als Kontrollverlust, wenn sie ständig umherirrende, orientierungslose Menschen sehen, die nicht wissen, wohin sie gehen müssen, und nach dem Weg fragen. Das erzeugt kein Vertrauen in der Bevölkerung, meine Damen und Herren, sondern das Gegenteil.

Bis jetzt gab es eine tote Frau, drei Schwerverletzte nach einem verunfallten Schleuserfahrzeug. Wir haben letzte Woche ein Schleuserfahrzeug mit einem 15-jährigen Fahrer aufgegriffen, der 40 Menschen transportierte. Ein Citroën Jumper ist ein kleiner Hochdachkombi für junge Familien; aus solchen Fahrzeugen holen wir 25 Menschen raus. An Lieferwagen werden die Gummis von innen herausgerissen, weil die Menschen Luftnot haben. Ich darf ja mit Ihnen hier nicht politisieren, aber eins darf ich Ihnen sagen: Wenn Sie über Grenzkontrollen nachdenken, dann können Sie jetzt schon Grenzkontrollen anordnen allein aus Gründen der Gefahrenabwehr für die Geschleusten in den Fahrzeugen.

Es ist nur noch eine Frage der Zeit, wann ein kapitaler Unfall passiert, weil wir die Schleuser an der Grenze nicht rechtzeitig gestoppt haben. Und diese Fahrzeuge erkennt – Entschuldigung, Herr Präsident – jeder Depp. Um zu wissen, wie ein Schleuserfahrzeug aussieht, muss man kein ausgebildeter Grenzpolizist sein. Die kann man auf der Grenzlinie herauswinken und so unter Umständen Geschleuste retten. – Das jenseits aller politischen Argumente, die ich auch draufhätte. Meine Damen und Herren, die Bundesregierung hat uns seit Monaten versprochen, dass sie die Migration an der polnisch-tschechischen Grenze messbar und nachhaltig reduziert.

Das Gegenteil ist leider der Fall. Wir haben galoppierende Zahlen; das habe ich ja eben schon gesagt. Die Bundespolizei ist jenseits der Limits. Sie hisst immer häufiger die weiße Flagge und bittet uns, die Aufgriffe selber zu bearbeiten. Sie kann nicht mehr. Ich habe deshalb die Landespolizei mit an die Grenze beordert, und zwar – das sage ich Ihnen ganz offen – mit dem taktischen Auftrag, so nah wie möglich an die Grenzlinie heranzugehen, jeden Kilometer auf deutschem Hoheitsgebiet zu überwachen und gegebenenfalls die geschleusten Leute aus den Autos herauszuholen. Diese Leute werden nachts um halb drei auf der Autobahn freigelassen und laufen dann über vier Fahrspuren davon. Sie ahnen, wie das enden könnte. Meine Landespolizei hat die Aufgaben: Gefahrenabwehr, Fahndungsdruck und Kontrolle. Rettet die Leute! Vor allen Dingen möchte ich Bilder von herumirrenden Menschen vor Orten vermeiden.
Wir führen die Leute in die Erstaufnahmeeinrichtung, aber ohne, dass sie zuvor in der Region herumgeirrt sind und nach außen das Bild eines Kontrollverlustes erweckt haben, Herr Staatssekretär. Der Bundeskanzler hat mit den Ministerpräsidenten am 10. Mai einen wunderbaren Beschluss gefasst. In Kurzform: Wenn es nicht besser wird, machen wir das Gleiche wie an der österreichischen Grenze. Niemand in der Bevölkerung versteht noch, warum wir bei doppelt so hohen Zahlen an der polnisch-tschechischen Grenze immer noch keine Grenzkontrollen machen, die sich in Bayern seit acht Jahren sehr bewährt haben.

Jetzt, meine Damen und Herren, brauchen wir kurzfristig Schleierfahndung plus Grenzkontrollen, und sei es nur zur Gefahrenabwehr. Wir sind das Hauptzielland derjenigen, die aus dem vermeintlichen Visaskandalland Polen kommen. Wir sind das Hauptzielland derer, die uns die Bundessicherheitsbehörden nennen – Stichwort „Belarus-Schleusungen über Moskau“. Wir sind das Hauptzielland für alle, die sich auf den Weg machen. Ich appelliere an Sie alle, an die politische Mitte dieses Hauses: Ob Asylkompromiss, ob Deutschlandpakt, ob eine einzurichtende Kommission, wir brauchen schnellstmöglich kein parteipolitisches Klein-Klein, sondern eine möglichst groß geeinte Migrationslösung in diesem Land!
In der Mitte dieses Hauses sitzt der Teil, von dem ich das erwarte; denn sonst erleiden wir einen Vertrauensverlust, den wir nicht wiedergutmachen können, meine Damen und Herren. Die Bevölkerung versteht nicht mehr: Grenzkontrolle – ja, nein, ein bisschen, vielleicht, vielleicht nicht, vielleicht doch? Nach solchen Kontrollen werde ich bei Veranstaltungen gefragt. Es herrscht keine Klarheit mehr, und dass in einer Krise. Der wichtigste Mannschaftsteil, meine Damen und Herren, sind die Kommunen. Wenn Sie denen jetzt das Signal senden, dass sie weniger Geld für Flüchtlinge kriegen, dann verlieren wir unseren wichtigsten Mannschaftsteil.

Wenn Sie das Vertrauen der Kommunen verlieren: Wie sollen wir die Lage noch retten? Was bin ich dankbar für die Entscheidung des Bundeskanzlers gestern. Aber mit dieser Grätsche hat er den Hebel erst mal in die Hand genommen. Herr Bundeskanzler, bitte legen Sie ihn nicht mehr aus der Hand! Alles, was in dieser Frage zu tun ist, ist Chefsache. Alles, was jetzt zu entscheiden ist, ist Chefsache. Sie haben den Hebel in die Hand genommen. Legen Sie ihn nicht wieder weg! Ich habe das Gefühl, dass die Koalition Führung braucht. Und ich habe den Eindruck, dass die richtigen Themen – die habe ich alle ausgespart. – auf dem Tisch liegen: Migrationsabkommen, Rückführungsoffensive usw.

Bitte nehmen Sie nichts vom Tisch! Bilden Sie gemeinsam eine Kommission oder was auch immer, aber ich brauche in ein paar Wochen Lösungen! Und ich brauche jeden Tag Grenzkontrollen! Danke schön.“

Das war die Rede von Armin Schuster Staatsminister des Innern in Sachsen am 28. September 2023, zu Zusatzpunkt 4: Aktuelle Stunde auf Verlangen der CDU/CSU-Fraktion „Schweigen des Bundeskanzlers zum Deutschlandpakt zum Stopp der irregulären Migration“.

Quelle: Deutscher Bundestag

Ihre
Astrid Damerow